JAMIROQUAI
http://www.jamiroquai.comEs gibt durchaus ein paar Regeln, die Jay Kay verinnerlicht hat. Und mal ehrlich: Ohne die wäre es ihm wohl kaum gelungen, über Jahre hinweg so unglaublich erfolgreich zu sein. Jede einzelne Single, die er mit Jamiroquai veröffentlicht hat, ist rund um den Globus an die Spitze der Charts vorgeprescht (das allein sind bis dato schon über 20 Stück!), der unverwechselbare Jamiroquai-Sound hat permanent die Tanzflächen in aller Welt dominiert; und überhaupt reden wir hier von einer Karriere, die jetzt schon unglaubliche 18 Jahre umspannt, und in deren Verlauf sich die bisher veröffentlichten sieben Alben stolze 25 Millionen Mal verkauft haben (wenn man das Greatest-Hits-Album aus dem Jahr 2006 mal dazurechnet). Mit ein paar vagen Ideen schafft man das sicher nicht.
Schauen wir uns die besagten Regeln daher doch mal etwas genauer an: Zunächst einmal wäre da der Grundsatz, dass ein Song auch dann grandios klingen muss, wenn man ihn nur mit Keyboard und Gesang bzw. mit Gitarre und Gesang umsetzt. Wenn das nicht der Fall ist: Sofort in die Tonne damit. Selbst den besten Produzenten und Musikern der Welt – und Kay weiß genau, von wem er da spricht: seine Mitstreiter spielen allesamt in der Topliga – wird es nicht gelingen, eine mittelmäßige Idee in etwas Grandioses zu verwandeln. Da kann der Groove auf den ersten Blick noch so verlockend wirken – das allein reicht noch lange nicht. Doch wenn das klangliche Fundament erst mal steht und diesen Test bestanden hat, gibt es für ihn kein Halten mehr.
Während er gerade erst einen neuen Plattenvertrag unterzeichnet und seinen 40. gefeiert hat, legt Jay Kay zudem noch immer größten Wert darauf, dass alles schön schnörkellos und eingängig bleibt. In seinen klaren, unverblümten Worten klingt das so: „Hör mir bloß damit auf, die Songs so verdammt unübersichtlich und verworren zu machen. Ich gebe ja zu, dass auch ich hin und wieder dazu neige, Songs zu kritisieren und zu sagen: ‘Oh Mann, die Textzeile hat ja nicht gerade besonders viel Tiefgang’“, gesteht der Sänger, der sich seit Jahren mit Umweltthemen, religiösen Fragen, Themen aus der Zukunftsforschung und dem Weltall befasst (ganz zu schweigen von seinem bekannten Hang zu schnellen Autos und neuerdings zu noch schnelleren Hubschraubern). „Aber warte mal: Ein paar der größten Songs der Musikgeschichte sind unglaublich einfach gestrickt! Hört euch doch mal die Songs von Stevie Wonder an – ‘all in love is fair, two people play the game’… Da muss man sich nicht gerade das Hirn zermartern, um diesen Satz zu verstehen, und trotzdem ist es einfach herzzerreißend, wenn Stevie diese Worte singt. Manchmal ist es vollkommen okay, wenn du einfach singst, dass da eine Kuh auf irgendeinem Hügel sitzt. Das geht auch. Wenn man diesen Satz auf die richtige Art und Weise präsentiert, funktioniert der Song einfach. Das wäre so eine goldene Regel“, berichtet er nüchtern.
Weiter im Text: Keine Videos mehr, in denen quadratische Leuchtfelder im Hintergrund aufblinken. Kein Wunder: Wer so viele zeitlose Videoclips wie Kay gemacht hat, muss irgendwann von derartigen Standards gelangweilt sein – darum hat er sich jetzt vorgenommen, ab sofort nur noch Videos zu drehen, die eher wie Kurzfilme funktionieren. Was jedoch nicht bedeutet, dass darin keine Helikopter auftauchen dürfen, in denen er sein inzwischen offiziell beglaubigtes Können als Pilot unter Beweis stellen kann. Dagegen ist nach wie vor nichts einzuwenden.
Nicht so viel nachdenken und analysieren, wenn man im Studio ist. „Was ich bei diesem Album gemacht habe, um zu verhindern, dass mir langweilig wird und ich aus dieser Langeweile heraus voreilige Fehlentscheidungen treffe – à la „Oh, der gefällt mir irgendwie gar nicht mehr; das löschen wir besser mal.“ –, war folgendes: Ich hab einen Song aufgenommen, daran bis zu einem gewissen Level herumgefeilt, und dann hab ich ihn mir zwei Monate lang nicht mehr angehört. Wenn man nach so vielen Wochen nämlich die Arbeit an dem Stück wieder aufnimmt, geht man automatisch wieder voll drauf ab und weiß sofort, wie man weitermachen muss.“
Zu viel Presse schadet nur, also lieber den Ball flach halten. Keine Frage: Jay Kay war zeitweise omnipräsent in den Medien – was gut und schlecht zugleich war. Doch ab sofort lautet das Motto: Die Musik muss im Vordergrund stehen. Sie soll für sich sprechen. Dann schon lieber etwas mehr Zeit im Studio verbringen, bis musikalisch auch wirklich alles sitzt. Dabei darf man nicht vergessen, dass fünf Jahre seit der Veröffentlichung des letzten Studioalbums Dynamite ins Land gegangen sind; danach kam nur noch die Greatest-Hits-Collection High Times: Singles 1992-2006 – und auch diese Veröffentlichung liegt nun schon wieder vier Jahre zurück. „Wir befinden uns gerade an einem ziemlich heiklen Punkt“, sagt er mit der für ihn typischen Offenheit. „Wäre die neue Platte nicht in diesem Jahr fertig geworden, hätten wir uns so langsam aber sicher in die Zone bewegt, in der die Leute sagen: ‘Ach ja, da war doch was. Ich kann mich noch dunkel an die erinnern…’“
Doch dazu wird es nicht kommen, denn Jamiroquai – also Jay Kay und sein bewährtes Musikerteam – sind zurück. Rock Dust Light Star lautet der Titel seines siebten Studioalbums, das zugleich sein Debüt für Mercury Records ist, und das Ergebnis von zwei Jahren Arbeit klingt einfach nur massiv, poetisch, inspirierend, unfassbar satt und feinfühlig zugleich. Was jedoch die zwei Jahre betrifft, muss man an dieser Stelle einräumen, dass Kay in dieser Zeit auch noch seinen Hubschrauberpilotenschein gemacht hat, was natürlich auch viel Arbeit und Nerven gekostet hat.
Entstanden ist die neue Platte in seinem eigenen Studio in Buckinghamshire sowie im legendären Hook End Manor in Oxfordshire, wo laut den beiden jungen Co-Produzenten Charlie Russell und Brad Spence, die Rock Dust Light Star zusammen mit Kay produziert haben, „das beste Aufnahme-Equipment im ganzen Land steht„. Außerdem machten Jamiroquai für die Recording-Sessions noch einen Abstecher nach Thailand…
„Warum Thailand“, grübelt Jay Kay. „Das war bloß so ein kleines Schmankerl für die Jungs – einen anderen Grund dafür gab’s eigentlich nicht. Nein, Blödsinn, ich sag’s dir: In dem Studio dort steht haargenau das gleiche Mischpult, das wir auch sonst benutzen, und es war einfach billiger, dort aufzunehmen – inklusive Essen und allem Drumherum –, als in den Hook End Studios weiterzumachen und sich den gesamten Februar über den miesen Nieselregen aufzuregen.“
Bereits mit der nach Sonne und den Stränden Kaliforniens klingenden Ballade Blue Skies, in der ein üppiges Streicher-Arrangement auf gefühlvolle Lyrics trifft, und dem Song I’ve Been Hurtin (hier treffen Riffs à la Led Zeppelin auf einen astreinen Donny-Hathaway-Vibe) präsentiert Kay vollkommen neue Aspekte seines Könnens als Sänger. Letztere Nummer, ein grandios minimalistisches Stück, bei dem sich die E-Gitarre und die Stimme einfach perfekt ergänzen, „war ein klassischer Fall von Halbe-Flasche-Scotch-und-60-Kippen-um-zwei-Uhr-in-der-Früh am Abend davor. Das funktioniert tatsächlich!“
Doch auch wenn man von derartigen Hilfsmitteln einmal absieht, habe er seine Stimme „ein wenig anders eingesetzt als sonst“, so Kay. „Vielleicht etwas entspannter und lässiger als früher. Ich hab das Tempo ein wenig gedrosselt. Schließlich muss man mit der Musik wachsen.“
Ein erster Vorgeschmack auf die kommende LP ist die erste Singleauskopplung White Knuckle Ride. Während Jay Kay & Co. hier mit Synthesizern und Disco-Sounds ordentlich Druck machen, liegt die Geburtsstunde dieses Stücks inzwischen bereits ein paar Jahre zurück: „Der Song hat sich über einen sehr langen Zeitraum entwickelt. Was jedoch den Text betrifft, hat es ehrlich gesagt nur 15, 20 Minuten gedauert, bis die Kernpassagen im Kasten waren. Wenn ich erst mal loslege, geht das in der Regel ganz schnell.“
Der Song, so Kay, funktioniere als „warnendes Beispiel – die Aussage lautet: Pass auf, was du dir wünschst.“ Was einerseits eine Art Bericht über die eigenen Erfahrungen im Musikgeschäft sein dürfte, vorgetragen mit der für ihn typischen Leichtfüßigkeit; während die Aussage in hektischen Zeiten wie diesen gleichermaßen für alle Menschen zutrifft.
„Und, das Beste daran ist, dass es sich bei diesem Stück um eine Live-Aufnahme handelt. Das ganze Album ist live entstanden. Es ist eine astreine Band-Platte geworden. Die LP davor war auch super – aber da haben wir alles im Studio eingespielt, und dann wurde es in Kleinteile zerschnitten. ‘Können wir diesen Snare-Schlag vielleicht noch um eine Millisekunde verschieben?’ Dadurch klang das alles schnell relativ steril“, berichtet der Sänger, dessen Hang zur Selbstkritik ihn im Laufe der Jahre immer wieder angetrieben – und auch nicht unwichtig: vor dem Durchdrehen bewahrt – hat. „Darum sagten wir uns dieses Mal, dass ausnahmslos alles an dieser Platte live sein musste. Wenn man dann fühlt, wie der Sound immer fetter wird, liegt das daran, dass es tatsächlich so ist; und du hast ein Fundament, über dem du spontane Einfälle einwerfen kannst, genau wie auf der Bühne also.“
Ähnlich offen und ehrlich präsentiert sich der Jamiroquai-Mastermind auch auf dem Blues-Reggae-Track Goodbye To My Dancer: „Der Text dieses Stücks basiert in der Tat auf einer Beziehung, die ich mal hatte, wobei ich ein paar Details schon noch verändert habe. Doch es stimmt: Es geht da um eine Frau, mit der ich mal zusammen war, doch dann hat sie irgendwann einen anderen geheiratet…“ Daher auch der „bittere Beigeschmack, der entsteht, wenn du plötzlich in die Röhre schaust. Und ja, ein bisschen unverschämt und unanständig ist die Nummer auch.“
Die eine Sache, die sich in all den Jahren keineswegs verändert hat, ist der kompromisslose, wache und mitunter etwas eigensinnige Geist von Jason Kay. Der Titelsong der neuen LP, ein lässiger Party-Track, der jedoch ein ernstes Anliegen transportiert, entstand während einer Tour durch den Fernen Osten.
„Ich saß gerade in Malaysia, genauer gesagt in Kuala Lumpur, und war bei der Arbeit. Abends stand ein größeres Dinner an, ein paar Leute sollten vorbeischauen. Keine Ahnung, wer das alles eigentlich war, aber besonders angetan war ich von ihnen jedenfalls nicht. Nun ja, irgendwann kamen wir dann auf religiöse Fragen zu sprechen. Dazu muss man wissen, dass ich kein religiöser Mensch bin und das auch nie war. Trotzdem bin ich sehr stark an dem Phänomen Religion interessiert und finde dieses ganze Konzept einfach ungemein spannend: sich mit Dingen zu befassen, für die es einfach keinerlei handfesten Beweise gibt. Irgendwann wurde mir das Gespräch jedoch zu viel und ich zog ab. Doch hatte mich dieses Dinner zum Nachdenken bewegt… Sagen wir so: Ich glaube daran, dass die Erde eines Tages von einem anderen Himmelskörper getroffen wird. Von irgendeinem Felsbrocken. Das ist schon öfter vorgekommen, und es wird bestimmt wieder passieren.“
Diese Gedanken über Meteoriten führten dazu, dass Kay schließlich über Materie nachdachte; über die Substanz, auf der alles Leben basiert…
„Der Albumtitel handelt praktisch von der Materie, aus der wir alle gemacht sind. Wir alle bestehen doch letztlich aus diesem seltsamen Zeug namens Sternenstaub. Ich dachte mir halt, dass es doch cool wäre, wenn wir mal ein bisschen mehr von dieser Außenperspektive mitbekämen, anstatt uns immer nur nach innen zu wenden – womit wir wieder beim Beten wären. Wenn du aber einen großen Blitz am Himmel siehst und so ein Meteorit auf uns zugerauscht kommt, kannst du dich noch so sehr hinkauern – das wird dann auch keine Menschenseele mehr retten können.“
„Ehrlich gesagt wollte ich das einfach mal loswerden. Es gibt unzählige Fragen, für die der jeweilige Glaube eine Antwort parat haben muss. So gesehen funktioniert dieser Song auch ein bisschen wie ein Stinkefinger: ‘Die Rettung soll von oben kommen?’ Die Antwort auf diese Frage erübrigt sich, wenn ein Felsbrocken der Größe deines Schlafzimmers mit 40.000 Sachen auf die Erde zugerast kommt. Wird bestimmt eine ganz schöne Sauerei, wenn es so weit kommt. Das würde uns innerhalb von wenigen Sekunden geradewegs in die Steinzeit zurückbefördern.“
So düster diese Vorstellung auch sein mag, Jay Kay wirkt fast schon begeistert, wenn er davon erzählt. Es ist dieselbe Faszination, dieselbe Fähigkeit, sich für musikalische und andere Ideen begeistern zu können, die Jamiroquai zu einer der größten Live-Bands überhaupt gemacht hat. Erst diesen Sommer haben sie ihr Können mit ein paar Headliner-Shows auf ausgewählten Festivals in ganz Europa erneut unter Beweis gestellt; dazu sind sie im Londoner Hyde Park im Vorprogramm von Stevie Wonder aufgetreten. Anders gesagt: Auch wenn sich die Preise, die sie im Laufe der Jahre abgeräumt haben, inzwischen kaum noch zählen lassen (da wären neben einem Grammy und einem Ivor-Novello-Award alleine fünf Auszeichnungen von MTV, um nur einige zu nennen) sind Jamiroquai immer noch heiß, sie gehen immer noch ab, weil sie von einem der charismatischsten Frontmänner aller Zeiten angeführt werden. Einem Frontmann, der sich genau an dem Punkt befindet, an dem er sein möchte…
„Sowohl, was die Musik als auch die ganze Business-Seite betrifft, fühle ich mich momentan, als hätte ich eine Verjüngungskur gemacht“, sagt er. Nach den sieben Veröffentlichungen für Sony habe er sich „körperlich vollkommen ausgelaugt“ gefühlt. Schließlich hatte er den Vertrag mit gerade mal 22 Jahren unterschrieben, und die Zusammenarbeit hatte in jeder Hinsicht ihren Endpunkt erreicht. Er wollte einen Schlussstrich ziehen, „eine Linie in den Sand malen“, wie er es nennt.
Nachdem ihm das gelungen ist, läuft Jay Kay nun wieder zu Höchstform auf: Unterstützt von einem neuen Team, hat er nicht nur die einzigartige Chemie zu seinen Musikern und Produzenten wieder neu belebt, sondern eine neue Leidenschaft (die Sache mit den Hubschraubern) für sich entdeckt, die für die nötigen Adrenalinkicks sorgt. So sprudelt er momentan förmlich über vor Energie und kann es kaum abwarten, die neuen Songs auch live zu präsentieren.
„Das Leben beginnt tatsächlich erst mit 40. Ist zwar ein altes Klischee, aber es stimmt wirklich“, sagt er abschließend mit einem Grinsen im Gesicht. „Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich nach so vielen Jahren immer noch im Rennen bin. Mir liegt auch sehr viel daran. Das Ganze ist wie eine schier endlose Straße, die man entlangfährt. Und egal, was die anderen behaupten: Die harte Arbeit, die man in den Anfangsjahren auf der Bühne leistet, macht sich hinterher bezahlt; und ich glaube, das hört man auch ganz deutlich auf dieser Platte. Ganz gleich, was in der Vergangenheit richtig oder falsch gelaufen ist, fühlt es sich einfach nur fantastisch an, immer noch im Rennen zu sein.“
Im Rennen und nach wie vor an der Spitze. Jamiroquai sind zurück.
quelle: http://www.jamiroquai.de/biografie/